
Woesinge ahoi
So heißt unser "Schlachtruf"
hier im Ort. Du denkst sicher, was will
er jetzt wieder von mir.
Bestimmt hast du schon etwas vom
Karneval in Köln, Düsseldorf oder
Mainz gehört. Aber vom
Wasunger Karneval?
Wenn nicht, möchte ich ihn dir
jetzt einmal etwas näher bringen.
In diesem Jahr (2001) feiern wir
bereits den 467. Karneval.
Er führt zurück bis ins Jahr
1524. Hier geht aus einer Rechnung
an die Stadt hervor, das auf dem
Marktplatz anlässlich eines
Fastnachtspieles Bier
ausgeschenkt wurde. Also Bier wird heute
noch gern getrunken. Im
Verhältnis gesehen auf die Anzahl der
Einwohner, kommen zum
Karneval nach Wasungen genau so
viele Besucher wie nach
Düsseldorf oder Köln, wenn nicht noch mehr.
Warum vergleiche ich unseren
Karneval immer mit denen aus
Düsseldorf oder Köln? Ganz einfach. Es gibt viele
Ähnlichkeiten,
aber auch einige Unterschiede.
Auch hier wird eine Woche
lang von "Weiberfastnacht" (Donnerstag)
bis Aschermittwoch groß
gefeiert. In Wasungen ist es aber auch ein
Straßenkarneval. Das heißt, wir
gehen nicht in irgendeinen Saal und
bleiben dort die ganze Nacht,
sondern wir ziehen durch die ganze
Stadt von Kneipe zu Kneipe
und sorgen auch auf der Straße für
Stimmung. Natürlich gibt
es in Wasungen auch eine Art von
Prunksitzungen mit
Büttenreden, Tanz und Gesangseinlagen.
Veranstaltet werden sie
vom Wasunger Carnevals Club (WCC).
Dieser wird in diesem Jahr
33 Jahre alt. Wir haben auch
Tanzgarden und sogar einen
Fanfarenzug. Die Tanzgarden sind
auch erfolgreich bei Thüringer
Landesmeisterschaften
und Deutschen Meisterschaften.
Der Fanfarenzug bringt Platz auf der
Straße und Stimmung auf die Bühne. Sie
beherrschen nicht nur die
Marschmusik, sondern auch Stücke, die Schwung auf
jede Bühne
bringen. Für die Leute, die mit Pauken und Trompeten in die Ehe
wollen, aber bei den Hochzeitsshows im Fernsehen nicht ankommen,
wäre das doch
eine Alternative.
Der Hauptumzug ist bei uns
nicht am Rosenmontag, sondern am
Samstag davor. Unser Umzug hat auch
Ähnlichkeiten zu den
Rosenmontagszügen in Düsseldorf oder Köln. Der
Unterschied jedoch
besteht in der Hauptsache darin, das er nicht von einem Club
oder
Verein gestaltet wird. Es sind die Bürger der Stadt, die sich zu mehr
oder
weniger großen Gruppen zusammenschließen und passend zum
Karnevalsmotto die
kleinere oder größere Politik aufs Korn nehmen.
Wasungen hat in jedem Jahr ein
anderes Motto, das von den Bürgern
eingereicht wird und das durch
abstimmen ausgewählt wird. In
diesem Jahr lautet es: "Ons
platzt där Kröeh" (2001).
Übersetzt ins Hochdeutsche ist
es: "Uns platzt der Kragen".
Der Nachwuchs von Kindergarten
und
Schule hat bereits
am Freitag seinen großen Auftritt.
Besonders in den Jahren der DDR
war Wasungen als
Karnevalshochburg bekannt.
Auch in der Zeit wurde die Politik
aufs Korn genommen. Das
ging vielmal nicht direkt, sondern
musste etwas versteckt werden.
Manche Büttenrede musste
mehrfach geändert werden und
mancher Redner erhielt
Auftrittsverbot. Aber am
Umzug konnte nicht viel verändert
werden, weil es bis heute noch
so Sitte ist, das die genauen
Themen die eine Gruppe
aufgreift bis zum Umzug geheim bleiben.
So machten wir uns die Freiheit
des Narren, das zu sagen was er
denkt zu nutze.
Wenn in den Wochen vor
Karneval mal bei Nacht und Nebel seltsame
Gestalten mit langen Stangen durch die
Stadt schleichen oder man
einem verdeckten undefinierbaren Gefährt begegnet,
ist man nicht
etwas in den Dreharbeiten von George Lucas gelandet, sondern es
wird abgemessen, ob das erdachte Gefährt auch durch die Straßen der
Stadt
passt. Eine später aufgehängte Wimpelkette, kann da schon mal
zu Problemen
führen.
Köln hat sein Dreigestirn
und Düsseldorf hat sein Prinzenpaar, aber wir
haben nur einen Prinz. Viele
Leute sind dadurch etwas irritiert. Du
auch? Eine Erklärung sucht man auf der
offiziellen Seite vergebens.
Aber ich kann vielleicht etwas Licht ins Dunkel
bringen.
Man hat mir berichtet, das
sich die Wasunger vor vielen Jahren mal
einen Streich ausgedacht haben.
Kurz vor dem Karneval
entführten die Wasunger den
Meiningern ihre Prinzessin. Aus Angst
vor einer Rache gab es seit
dieser Zeit keine Prinzessin mehr in
Wasungen. Die einzige
Ausnahme ist nach meinen Informationen
das Jahr 1970. Nur im
Kindergarten und in der Schule gibt es noch
ein Prinzenpaar. Wir sind
hier ja nicht im Hameln.
Damit uns niemand unseren
Prinzen entführt, bleibt sein Name ein
Geheimnis von einigen Eingeweihten bis
kurz vor dem Umzug. Auch
hat er 2 Pagen an seiner Seite und auch eine Gruppe von
närrischen
Polizisten, die für ihn Platz machen. Einen Hofnarren hat er auch,
der
bei uns aber Hüpfer genannt wird.
Wenn man in Wasungen einen
als Lüüchesoak (Lügensack) bezeichnet,
wird der nicht unbedingt böse. Denn
seit den 50er Jahren wird
alljährlich am Rosenmontag der größte Lügensack
des Ortes gekürt.
Dieser erhält dann den Lügenorden, und muss dann über
seine
"Wahrheiten" in aller Öffentlichkeit berichten.
In unserer Umgebung wird als
Schlachtruf "Helau" gebrüllt. Wenn du in
Wasungen aber
"Helau" rufst, dann grenzt das für manche Wasunger
schon an ein
Staatsverbrechen. Hier heißt es "Ahoi". Nach meinem
Wissen stammt
dieser Ruf noch aus einer Zeit, in der auf der Werra
noch Baumstämme mit
Flößen transportiert wurden.
Damit du hier nicht auch ein
"Staatsverbrechen" begehst, übe ich mit
dir jetzt noch einmal. Am
besten du sprichst es gleich einmal mit.
Woesinge Ahoi

Mein erster Auftritt im
Karneval. Ich lag schön warm eingepackt im
"umgerüsteten"
Kinderwagen.


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